Der Weg zum wohlerzogenen Esel - Teil 2

Im ersten Teil der Reihe "Der Weg zum wohlerzogenen Esel" haben wir uns mit der ersten Kontaktaufnahme und der Beziehungsformierung zwischen Mensch und Tier auseinandergesetzt. Wir haben versucht, eine Rangordnung klar zu definieren, um somit anhaltend und aufbauend mit dem Tier arbeiten zu können. Auch diese Rangordnung wird im zweiten Teil weiter hinsichtlich Konstruktivität aufgebaut.

 

Die Leitstute und der Herdenchef: die Überlebensgarantie!

 

In der Pferdewelt begegnet man einer Sozialstruktur innerhalb einer Herde; welche in ihren Rollen klar definiert ist. Auch an wildlebenden Eselherden kann man eine ausgeprägte Sozialstruktur erkennen; die Hierarchie innerhalb der Herde wird jedoch nicht so kämpferisch bestritten, wie bei den Pferden.

 

In diesem Zusammenhang ist jene Erläuterung von Bedeutung; dass nicht der Hengst die Fähigkeit zur Anführung besitzt, sondern die Leitstute (bei Eseln sowohl als bei Pferden). Die Leitstute ist meistens ein älteres Tier, welches sich durch eine grosse Lebenserfahrung kennzeichnet; nicht durch Kraft, Imponiervermögen bzw. Verteidigungsstrategien. Letztere Fähigkeiten sind dem Alpha-Hengst vorbehalten (fälschlicherweise oft auch Leithengst genannt !). Der Hengst ist erstberechtigt bei der Reproduktion und dazu verpflichtet, seine Stutenherde gegen Eindringlinge und Feinde zu verteidigen. Selten findet er Ruhe und ausreichend Zeit zum Fressen.

Anders die Leitstute; sie kennzeicnet sich durch eine gewisse Weisheit aus. Sie kennt die jahreszeitlich besten Futterplätze, die verschiedenen Wasserstellen, die Orte, die der Menschen bzw. Feinden wegen zu meiden sind. Es wurde ausserdem beobachtet, dass die Leitstuten bei Erstgeburten ´assistierten´; sie leiten die Mutter zum Trockenlecken an und befördern das Fohlen oftmals an die Milchquelle der erschöpften Mutter. Oft sind es auch die Leitstuten, die eine Tantenrolle bei den Kleinsten übernehmen oder diese adoptieren und sogar Milchproduktion aufweisen, falls die Mutter ums Leben kommt.

Die Leitstute unternimmt also Anstrebungen, welche in allen Aspekten überlebenswichtig für die gesamte Herde sind. Dieses gilt auch für den Hengst; wir wollen uns aber auf die Funktion der Leitstute basieren um klarzustellen, was diese Dynamik im tagtäglichen Umgang mit unserem Esel auslösen kann.

Wo denn nun den Zusammenhang zwischen dieser Gruppenkonstellation und der ´Leitstutenfunktion´ zwischen Mensch und Esel erkennen?

 

Die Antwort liegt eigentlich schon im Wort! Wenn ich es erreiche, dass mein Esel mich als ´Leitstute´ anerkennt, dann habe ich schon die halbe Arbeit geleistet.

 

Diesbezüglich muss ich jedoch noch einige Schritte unternehmen:

 

* Die Leitstute innerhalb der Herde muss sich mittels Autorität und durch Beweise von grosser Erfahrung an ihre Postion heranarbeiten; normalerweise kommt es bei ihr und anderen Stuten der Herde selten zu Rangkämpfen. Beim Alpha-Hengst sieht dies anders aus!

 

--> Erreichen tue ich die Position der Leitstute bei meinem Tier, indem ich auf die erste Vertrauensbasis aufbaue; dem Körperkontakt. Das Tier hat Vertrauen in meine Handlungen ´rundherum´ gefasst. In einem zweiten Schritt wird dem Tier diese Vertrauensbasis im Folgen vermittelt.

 

Dazu benutze ich Anfangs ein sogenanntes Strickhalfter. Es besteht aus einem +/- 3 mm dickem Seil, welches doppelt zu einem Strickhalfter verarbeitet wird. Dieses Halfter besteht aus einem Teil und ist ohne Metallringe zusammengesetzt.

(n.B. Das Halfter ist auch als sogenanntes Trainingshalfter im Westernbereich des Pferdesports im Einsatz)

 

Den Vorteil dieses Halfters in einer ersten Trainingsphase erkennt man in seiner Einwirkungsmethode :

Durch Druckeinwirkung bei Zug wird dem Tier der Befehl anhand einer Verspürung am Nasenrücken als auch an Halsansatz bewusst gemacht. Der Esel lernt sehr schnell, diese Einwirkungen zu differenzieren und deren Bedeutung zu deuten.

 

Des Weiteren wird durch eine gewisse scharfe Einwirkung auf dem Nasenrücken bei behertztem Zupfen dem Tier seine Grenzen vermittelt. Einerseits kann man diese Methode als gewaltsam abstempeln; andererseits denke ich, dass dem Trainer auch eine gewisse Sicherheit gewährleistet sein muss.

 

 

Wie sieht der Vorgang einer Trainingseinheit denn nun aus ?

 

- Das Tier wird anfangs mit dem Halfter vertraut gemacht. Wenn es sich um ein Fohlen handelt, welches ausgebildet werden soll, dann können Sie den selben Vorgang einleiten. Bedenken sie aber bitte, dass das Fohlen längere Zeit braucht, um Reflexionen ihrerseits zu verstehen und zu interiorisieren. Ich lege den Tieren, welche das Halfter noch nicht kennen, dieses in den Paddock, so dass sie es beschnuppern und damit spielen können. Somit machen sie sich damit vertraut und das Überziehen bereitet keine weiteren Probleme.

 

- Wichtig ist, dass die Führlonge von einer guten Qualität ist. Als besonders empfehlenswert scheint eine Baumwollonge von mindestens 3 Metern zu sein. Die Länge der Longe ist wichtig dazu, Übungen auch in Entfernung zu ermöglichen.

 

- Beginnen Sie in einem weiteren Schritt, das Tier dazu zu animieren, sich führen zu lassen. Es wird in 99 Prozent der Fälle von Nöten sein, etwas Überzeugungsarbeit zu leisten. Ich benutze dazu eine Dressurgerte aus dem Reitsport; sie ist etwas länger und ermöglicht dem Führer, das Tier von hinten anzutippen. Wichtig hierbei ist ihre Konsequenz. Lassen Sie sich nicht von anfänglichen Misserfolgen einschüchtern, sondern bleiben Sie zäh. Es kann sein, dass Sie diesbezüglich etwas psychologisches Einfühlungsvermögen bezugnehmend auf ihr Selbst walten lassen müssen.

 

N.B. Ich denke, dass es von Anfang an wichtig ist, dem Tier den Kontakt mit der Gerte beizubringen. Ja, beibringen und nicht vergreulen! Der Esel lernt nach mehreren Versuchen, die Gerte als Hilfe bzw. als Verlängerung ihrer Hand anzusehen und fürchtet sich nicht mehr davor, sondern erkennt und führt Befehle aus! Wichtig ist diese Vorbereitung vor allem dann, wenn der Esel als Kutschentier ausgebildet werden soll!

Wenn Sie die Gerte jedoch als Schlagstock missbrauchen, werden Sie sämtliches Vertrauen verlieren.

 

- Führen Sie das Tier an stets der gleichen Seite (evtl. rechts) und denken sie daran : RUHE UND KONSEQUENZ VERMITTELN STETS VERTRAUEN; SCHENKEN SIE IHREM ESEL VERTRAUEN UND BAUEN SIE SICH GEGENSEITIG AUF! Das Gleiche scheint für stets wiederkehrende Situationen zu gelten; das Tier baut auf Bekanntes (also Konsequenz) auf!

 

Wenn der Esel nach einigen Erfolgen sicher neben ihnen geht, so lassen sie die Gerte auf der Seite. Lernen Sie das Tier jetzt, in angepasstem Tempo hinter ihnen zu gehen. Wichtig dabei ist es, dass der Esel einen Mindestabstand von 50 cm einhält; dieser ist Sicherheitszone und Respektsache gegenüber dem leitenden Menschen.

 

N.B. Einige Esel scheinen Anfangs etwas stürmisch zu reagieren, und laufen auf Schulterhöhe bzw. vor dem Menschen. Dies ist ein Anzeichen für mangelnden Respekt und zugleich eine Dominanzfrage. Sie ist in dem Moment noch nicht von Bedeutung; in einer Notsituation wird der Esel jedoch selbst entscheiden und seinen Weg wählen! Wir haben uns während unseren Wanderungen beraten und wenden folgende Methode zur Korrektur an : Wenn das Tier den Mindestabstand nicht einhält; so schwingen wir das Seil in kreisenden Bewegungen auf Schulterhöhe. Das Tier wird einmal versuchen hindurch zu laufen, macht dabei aber eine unschöne Erfahrung; beim zweiten Mal wird es erkennen, dass ihm die Wahl vorbehalten ist... denn... e gudden Iesel steisst sech nemmen emol...

 

An dieser Etappe angekommen, können Sie von sich behaupten, dass Sie ein Tier besitzen, welches ihnen willig und gelehrig folgt. Es wird also Zeit; aufbauend weiter zu arbeiten !

 

- Der Esel sollte lernen, in den drei Gangarten an der Longe zu gehen. Sie bestehen aus Schritt, Trab und Galopp. Letztere Gangart ist jedoch nicht des Esels Leidenschaft, er muss diese auch nicht unbedingt

können. Bei diesen Übungen gehen sie vor wie vorher beschrieben. Sie machen also auch von ihrem sogenannten ´Motivationsstäbchen´ Gebrauch.

 

N.B. Beginnen Sie jetzt schon damit, die drei Gangarten mit ihrem Namen (stets gleichbleibend) abzurufen. Der Esel wird dieses Vokabular erlernen und kann in seiner fortführenden Ausbildung (z.b. Kutsche) nur davon profitieren !

 

- Ein elementarer Punkt ist das Stehenbleiben ! Der Esel sollte nicht nur lernen, auf dem Putzplatz schön still zu stehen, sondern sollte auch wissen, wann er während des Marsches stehen zu bleiben hat. Seien Sie in diesem Punkt besonders konsequent und ggf. streng, da in Notsituationen das Tier nicht selbst entscheiden sollte (z.b. Staßenüberquerung, bei welcher sich der Esel erschreckt). Bedienen Sie sich der Gerte und halten sie diese an die Brust bzw. in Sichtkontakt; üben Sie leichten Druck auf die Nase aus und geben Sie den stets gleichbleibenden Befehl zum Stehen. An dieser Stelle gibt es keine Kompromisse; wenn das Tier anstrebt, weiter zu gehen so zupfen sie stramm am Seil. Bei besonders üppigen bzw. starken Tieren und Hengsten hat es sich in der Anfangsphase bewährt, eine Führkette (wird unter dem Nüster angebracht) zu benutzen.

 

Hier mein Aufruf an alle Praktizierenden : Bei aller Tierliebe muss auch auf die Sicherheit von Mensch und Tier geachtet werden; besser ein unangenehmer Zupfer an der Nase als ein umgerempelter Kinderwagen oder ein überfahrener Esel !

 

An letzter Stelle möchte ich noch zwei Faktoren hervorheben, welche in einer engen Relation bezüglich des Erfolges einer Übung stehen und welche nicht zu unterschätzen sind, was ihre Wichtigkeit angeht:

 

1) Der Ort des Geschehens : es scheint unlogisch, anfängliche Übungen auf einer befahrenen Strasse oder im unbekannten Wald zu unternehmen. Der Esel kann sich dabei schlecht konzentrieren, und wird zu stark abgelenkt ! Üben sie Anfangs mit ihm in seiner bekannten Umgebung; auf der Wiese, in der Stallgasse, im Paddock... wo er nicht abgelenkt wird und wo nicht zu viel Trubel ist.

 

2) Die Zeit der Übung : ein Tier welches stundenlang zu einer Übung angeleitet wird, wird erschöpft und geistig ermüdet sein. Ein Tier welches jedoch in gutem Pflegezustand ist und sich für kurze, dafür aber regelmässige Zeitspannen konzentrieren muss; wird geistig fit bleiben und Erlerntes auch besser aufnehmen und behalten können.

Üben sie daher nie länger als eine halbe Stunde am Stück. Sie können jedoch ohne Bedenken drei Mal am Tag eine halbe Stunde üben. Lassen Sie die Tiere während des Übunsablaufes aber auch einige Denkpausen einlegen indem Sie es beispielsweise etwas kraulen. Somit schaffen Sie den grossen Denker !

 

N.B. bedenken Sie bitte, dass Fohlen bis zu sechs Monaten sich maximal fünf Minuten am Stück konzentrieren können; nicht sehr viel. Somit können bsp. morgens die Hufe ausgekratzt werden und abends das Tier geputzt werden ( zweimal eine geringe Zeitspanne bringt dem Tier mehr hinsichtlich Merkfähigkeit, als alles hintereinander bewältigen zu wollen !)

Fohlen von sechs Monaten bis zu einem Jahr sollten nicht länger als fünfzehn Minuten hintereinander beansprucht werden.

 

Am Ende dieses Artikels angelangt, bemerken Sie sicherlich, dass Sie nach diesen Übungsabläufen ihrem Esel die Grundzüge des korrekten Geführtwerdens beigebracht haben und versuchen erste Ausgänge... Hier begegnen Sie Strassendeckeln, Regenrinnen, ratternden Maschinen, Wasserübergängen und vielen weiteren Unterbrechern eines gemütlichen Sonntagspazierganges...

 

In der dritten Ausgabe des Artikels ´Der Weg zum wohlerzogenen Esel ´werde ich präzise Schwierigkeiten und deren Lösungsmöglichkeiten beschreiben und Sie werden staunen... denn... ein Esel überquert sogar einen Bachlauf ohne Schwierigkeiten... !

 

- Sacha Dupont -